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Jesus Christus und Erich Honecker in einem Buch ? das wär? doch was ... ja, das können Sie haben. Beide sind die Hauptpersonen in diese Satire. Der Roman spielt in einer Liga mit ?Freizeichen? und ?Herr Lehmann?. Und das ist, nun ja, nicht das Schlechteste.
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Im Jahre 1989 läuft im 3. Hörfunk-Programm vom SFB ein Hörbuch,
das auf einer kanadische Comedy-Serie („Jesus Now“) basiert. Die deutschen
Autoren orientieren sich an dem Stoff ihrer Kollegen aus Montreal, machen aber
aus „John“ einen „Jupp“ und verlegen den Handlungsort von einer kleinen Gemeinde
in den Rocky Mountains in das münsterländisches Dorf Appelhülsen. Im Mittelpunkt
steht auch hier der Chef einer ziemlich erfolglosen Drückerkolonne für
Kirchenzeitungen. In jeder Folge vollbringt der junge Mann ein Wunder, als zum
Beispiel das Bier bei einem Fest in einer Kleingartenanlage in Lünen-Brambauer
ausgeht, muss die Apfelschorle „dran glauben“. Die einschlägige Presse kommt ihm
schnell auf die Spur, und ein Mitarbeiter verrät seinen genauen Aufenthaltsort,
bei der Flucht vor sensationssüchtigen Fotografen kommt Jupp ums Leben. Da die
genauen Umstände aber nicht restlos aufgeklärt werden können, wird der Tote in
die Gerichtsmedizin gebracht. Nach drei Tagen ist die Leiche plötzlich
verschwunden. Einzige Spur: ein von innen eingeschlagenes Fenster im fünften
Obergeschoss ...
Auch im Ostteil von Berlin verpassen viele Menschen keine Folge der Serie. Aber
es gibt Ausnahmen: Die Ehefrau eines ranghohen Politikers („Erich H.“) muss
allerdings fast immer „in die Röhre schauen“. Ihr Mann verbietet ihr den Empfang
der Sendung vom Klassenfeind. Was wiederum zur Folge hat, dass er nachts aus dem
ehelichen Schlafzimmer ausgesperrt wird und auf einem Feldbett im Keller
schlafen muss. Etwas trifft ihn besonders: Am nächsten Morgen schmiert ihm seine
frustierte Frau keine Brote für das Büro – und er selbst ist zu ungeschickt
dafür. Pech: Ausgerechnet an diesen Tagen tagt immer das Politbüro. Der
verstimmte und hungrige Mann trifft die falschen Entscheidungen, die innerhalb
kürzester Zeit zum Untergang des Staates führen.
Mit dabei:
Der Erkläronkel aus dem Sauerland, der schon durch seine Frisur auffällt, die
jeglichen modischen Geschmack entbehrt, was sein äußeres Erscheinungsbild nicht
gerade verbessert.
Die Frau mit der Prinz-Eisenherz-Tarnkappe (im engsten Familienkreis auch Frisur
genannt), für die offenbar ein Lehrling verantwortlich gewesen ist, als dessen
Chef gerade zur Mittagspause war.
Die blonde Kellnerin mit der Heimstatt für wohnungslose Politiker, aus der
einmal in der Woche das Fernsehen das Geschwafel der Insassen übertragt.
Der Landespolitiker mit dem Hobby Sackhüpfen, der seine eigene Partei nur etwas
besser als desolat abschneiden lässt, später als Spion des politischen Gegners
enttarnt wird und dafür als kleines Dankeschön den „Deutschen Comedy Preis“
zugesprochen bekommt.
(...)
„Gefällt dir eigentlich mein Name?“, fragt sie unverhofft.
„Nicole? ... Er gefällt mir sehr gut.“
„Ach ja?“, reagiert sie und lässt ihn los, um sich ganz aufzurichten. „Ich habe
ihn noch nie gemocht. Verkäuferinnen bei ‚Douglas‘ heißen so.“
„Ach ja?“, äfft er sie nach. „Welchen Namen hättest du denn gerne?“
„Marie.“
„Marie? ... Heißt nicht deine Mutter so?“
„Ja. Sie hatte ihn sogar für mich ausgesucht. Aber mein Vater war dagegen.“
„Ein kluger Entschluss. Bis an das Lebensende wärst du die kleine Marie
geblieben, man hätte dich schwer als eigenständige Person anerkannt ... Zum
Glück hat sich dein Vater durchgesetzt.“
Nicole betrachtet ihre Fingernägel und murmelt: „An dir ist auch Hopfen und Malz
verloren.“
Weit gefehlt.
***
Gut eine Stunde später kommen sie vor dem Vereinsheim der Kleingartenanlage
„Frohsinn“ in Lünen-Brambauer an. Die Gaststube ist ein langer
lichtdurchfluteter Raum, rechts ist die Theke, links steht ein langer Tisch
direkt unter einer Fensterreihe. Nur ein paar einzelne Männer sitzen auf
Barhockern am Thresen. Ein Mann mit dem Hang zum Doppelkinn zeigt Urlaubsbilder.
Alle wirken interessiert, während sie Bier und Korn in sich hineinkippen, als
kriegten sie Geld dafür. Nur ein glatzköpfiger Mann in den Siebzigern hält sich
zurück. Er spielt mit seinem leeren Pilsglas, dreht es hin und her, schiebt es
dann frustiert von sich. Sein Nachbar schimpft: „Das kann ich nicht glauben.“
Jupp wendet bei diesen Worten den Blick ab. Er weiß, dass die Bierfässer leer
sind. Sein Blick geht weiter. An beiden Ende des Raums sind Servierwagen
abgestellt worden, die mit Tabletts voller Torten beladen sind. An einem
weiteren Tisch an der Stirnseite, der ebenfalls mit Blumen geschmückt ist,
sitzen Marie und Peter Blache (die Eltern von Nicole). Sie feiern mit rund 50
Gästen ihren 30. Hochzeitstag.
(...)
Nach einer guten Stunde kommt ein keuchender Mann an den Tisch und flüstert
Maria Blache etwas ins Ohr. Es ist der Wirt. Die Jubilarin nickt und sagt zu
ihrer Tochter: „Fast hätte ich es in der ganzen Aufregung vergessen“, während
der Wirt zur Jukebox geht, bestimmt zum 20. Mal an diesem Tag mit „P4“ den
Musikgeschmack einiger Leute erniedrigt.
Mit „Und was, Mama?“, kämpft Nicole gegen „Er heißt Peter“ von Katja Holländer
an.
„Ihr müsst uns aus der Patsche helfen.“
„Aus der Patsche helfen?“, wiederholt Nicole und rechtfertigt sich im nächsten
Augenblick: „Wir sind aufgehalten worden.“ Ihre Worte klingen gestelzt, als
hätte sie den Satz vom Blatt abgelesen.
Jupp Chorweiler lächelt etwas schief, sagt aber nichts.
Peter Blache kichert ein wenig – es klingt nervös und unnatürlich dazu.
So ganz scheint auch Marie Blache der Erklärung nicht zu trauen. „Ach,
tatsächlich?“, seufzt sie und fährt dann fort: „Der Bierlieferant hat den Wirt
sitzen lassen. Jetzt hat er nur noch Apfelschorle im Kühlraum.“ Und an Jupp
gewandt, ergänzt sie: „Können Sie das bitte übernehmen?“
Damit meint sie, dass Jupp mit seinem „VW-Bus“
zum Getränkeshop nach Lünen-Süd fahren soll.
Pech nur, dass Jupps Auto anschließend nicht anspringt.
„Und nun?“, fragt die verzweifelte Nicole.
Jupp muss nicht lange überlegen. Er verschwindet mit Nicole im Keller des
Vereinsheims. Erst geht der lustvolle Morgen in die Verlängerung, dann streicht
Jupp – weil die Zeit drängt und einige erboste Gäste schon die 37 Strophe von
„Ein Loch ist im Eimer“ vom „Medium-Terzett“ anstimmen und mit „La Pastorella“
von Vico Torriani drohen - kurz über die Kästen mit der Apfelschorle, die
Limonade verwandelt sich in Bier.
(...)
***
Eine Stunde später lehnte Erich H. sich auf dem Sessel zurück. Er war sauer auf
seine Frau, sein Nacken tat ihm weh von der letzten Nacht auf dem Feldbett und
Hunger hatte er noch immer. Denn von dem Essen in der Kantine (heute gab es
gegrillte Wurst mit Kartoppelpüree) wurde er einfach nicht satt. Dazu kam, dass
er sich noch immer fragte: Wer sind Jeckyll & Hyde? ... Klassenfeinde? Sein
Stolz verbot es ihm, jemanden zu befragen. Er hatte einfach keine Wahl. So
konnte er seine Sekretärin nicht einfach bitten, noch ein oder zwei belegte
Brötchen zu holen. Die Leute im Haus würde ihn für ein Vielfraß halten, wo er
doch immer noch zwei Stullen oder einen „Henkelmann“ dabei hat.
Stolz? Das stimmte natürlich nicht ganz. Es war vielmehr die Angst vor dem
Flurfunk, der schon seit einiger Zeit Gerüchte über eine angebliche Ehekrise bei
Erich H. verbreitete. Und jetzt das noch – keine Stullen, kein „Henkelmann“ .
Nein, darüber durfte nicht geredet werden. Nein!Nein!Nein!
Denn in etwas waren sich alle Spitzenfunktionär einig: Grundsätzlich, so
glaubten sie, würden alle Probleme verschwinden, wenn man nur nicht darüber
sprach.
(...)
„Ähm, ja. Sind Sie nicht der ...“
„... Der Fuzzi aus der Ostzone?“ Erich H. entspannte sich und ein wohliges
Gefühl lief durch seinen Körper. Er befeuchtete seine Lippen und fuhr fort:
„Nein, nein. Meine Stimme klingt so. Aber sie werden mich ja bald sehen. Dann
werden Sie sofort feststellem, dass ich mit dem überhaupt keine Ähnlichkeit
habe.“
Drei Stunden hatte er Akten studiert, eine Jugendgruppe aus Kuba empfangen und
die Vorlagen für die Sitzung am Nachmittag gelesen, jetzt suchte er den
emotionalen Kick.
Und der sah so aus: Von seinem blauen Apparat trieb er seine Späße: Heute rief
er ein Fitnessstudio in Charlottenburg an.
„Ein Glück für Sie. Mit dem möchte ich nämlich nix zu tun haben. Achso, Herr
...“
„Luckow. Am Ende mit Wilhelm“, sagte Erich H. und lächelte dabei wie eine
Stewardess, die gerade die Schwimmwesten erklärt.
„Ja, Herr Wilhelm Luckow. Was gibt’s?“
Erich H. merkte, wie verwirrt der andere war und musste erneut schmunzeln ...
Hoffentlich merkt der nichts ... „Nun ja –„
„Nun ja was?“
Erich H. konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Um ganz ernst zu wirken, dachte
er an seine Frau: „Nun ja, insgesamt 12 brauchen ein Spezialtraining.“
„Spezialtraining?“, wiederholte der Muckimann etwas verunsichert. „Was meinen
sie damit?“
Erich H. seufzte lautlos: Prima, besser hätte es gar nicht laufen können. „Nun,
ich hatte gestern mit ihrem Chef gesprochen. Und da hatte ich gesagt, dass es
nur 8 sind.“
„Also 12 Leute sollen ein Spezialtraining machen, Herr Wilhelm Luckow.“
Erich H. knetete seine Hände ... Jetzt geht es richtig los ... „Nein, zwei Leute
und 12 Schweine ...“
Es wurde still in der Leitung.
„Sie machen Witze,“ meinte er dann.
„Neinnein,“ reagierte der Anrufer, „wir haben morgen ein Turnier in Zehlendorf.
Und ihr Chef sagte mir, dass Sie einen extra Raum haben, damit wir vorher
trainieren können.“
„Jetzt hören Sie mal gut zu,“ verlangte er. „Wir sind ein Fitnessstudio für
Damen und Herren.“
„Die müssen die anderen Leute ja nicht mitkriegen.
Der Mann seufzte ein wenig. „Ja, aber ...“
„Wissen Sie, wir bereiten uns immer in einem Fitnessstudio auf ein Turnier vor.
Die Schweine, übrigens nur reinrassige sauerländische Hängebauchschweine,
bekommen Hanteln ...“
„Hanteln?“
„Ja, Hanteln umgeschnallt, und dann müssen sie unter erschwerten Bedingungen um
die Wette rasen. Sehen Sie, wir Menschen tragen Rucksäcke, Schweine eben
Hanteln. Ja, geht des heute um 17 Uhr klar?“
Die Stimme des Mannes wurde plötzlich eisig: „Was reden Sie dann da? Sie sind
krank und gehören in die Klatsche!“
Und weiter hatten sie sich nichts mehr zu sagen.
***
"Diesen Unsinn mit ihrem angeblich freiwillen Rückzug glaube ich nicht den
Bruchteil einer Sekunde“, sagte Egon Kubitschke leise. Und es sah so aus, als
hätte er vor 25 Jahren sein erstes selbstverdientes Geld in einen Maßanzug
investiert, den er noch immer trug.
Friedel Holleczek runzelte die Stirn: „Warum denn nicht ... warum denn nicht?“
Die beiden Parteifunktionäre standen vor dem Konferenzzimmer. In wenigen Minuten
würde hier das Politbüro zusammenkommen. Doch jetzt ging es erst einmal um die
privaten Probleme des Vorsitzenden.
„Kann ich dir sagen, Friedel, so wird eine Trennung vorbereitet. Die Ehe ist
doch schon lange im Eimer. Das ...“ Kubitschke brach plötzlich ab und erröte bis
zum Haaransatz, denn sein Herr und Meister machte ein paar Schritte auf die
beiden zu, die instinktiv sofort etwas zurückwichen.
Die Knie zitterten Erich H. ein wenig, doch die Beine bewegten sich zum Glück
wie von selbst. Natürlich hatte er mitbekommen, worüber die beiden sprachen. Ihr
Arschlöcher!, hätte er natürlich gerne gesagt, aber er wusste schon vorher, dass
er die Worte nicht hervorbringen würde. Als er direkt vor ihnen stand, pulsierte
aber das Blut ihm in den Adern und seine Augen glühten. Doch er sagte nichts.
Das Schweigen lastete plötzlich schwer in dem Flur.
Erich H. sah die beiden eisig an, und wartete, dass sie weiterredeten. Aber
zunächst passierte nichts. Erst nach endlosen zehn Sekunden zeigte Egon sein
bekannte Pferdegebiss: „Hallo Erich, ich sagte gerade zu Friedel, der
Kapitalismus in seiner bisherigen Form wird bald scheitern. Eine
Gesellschaftsperiode geht zu Ende.“
Meine Güte, hält der mich schon für so senil, dachte der „rote Betonkopf“ und
ging überhaupt nicht darauf ein. „Können wir reingehen und anfangen?“, fragte er
säuerlich. Eine Antwort wartete er erst gar nicht ab. Denn er hatte keine Frage
gestellt, sondern einen Befehl erteilt.
Was die beiden natürlich nicht wussten: Schon seit einiger Zeit bedeutete jede
der wöchentlichen Sitzungen des Politbüros für ihn schlichtweg ein Martyrium:
Nicht nur deshalb, weil sie schrecklich lang waren und manchmal bis in den Abend
gingen, oder weil einige Teilnehmer schrecklichen Mundgeruch hatten, aber
trotzdem nicht zu den Schweigern zählten, oder weil immer wieder Entscheidungen
persönlich genommen wurden. Nein! Als wäre das alles noch nicht genug, hatte
Erich H. bei jeder Sitzung neuerdings die Vorstellung, dass Marianne anwesend
war, ihn vor versammelter Mannschaft niedermachte, aber auch alles besser wusste
und jeden seiner Vorschläge missbilligte.
Erich H. ging in den Raum. Ging? Er hatte das dumpfe Gefühl, als würde der Boden
schwanken – wie der ziemlich marode Holzsteg an einem See.
(...)
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